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Kampf gegen den Frust am Tag danach

(sh:z; Jan Wrege) Wut und Enttäuschung prägten auch am Tag  nach dem Skandal in Kielce die Stimmungslage bei der SG Flensburg-Handewitt. „Unsere Mannschaft ist um den Lohn ihrer Arbeit gebracht worden – das tut weh“, wiederholte Geschäftsführer Dierk Schmäschke gestern sein Fazit nach der 28:29-Niederlage im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League. Die Chance auf das Final4-Erlebnis für die Spieler, die Chance auf eine bedeutende Einnahme für den Verein – zerstört von einer Fehlleistung der Schiedsrichter. „Wie soll man einem neun Jahre alten Sohn, der Handball spielt und die Regeln kennt, erklären, was gestern passiert ist?“ twitterte Torhüter Mattias Andersson. Sein Trainer Ljubomir Vranjes versuchte auf demselben Kanal einen kämpferischen Blick nach vorn: „Ich liebe den Handball wirklich. Ich werde mein Leben lang dafür kämpfen, dass dieser Sport so schön ist, wie er sein sollte.“

Das war der Handball am Mittwoch nicht, obwohl zwei großartige Mannschaften mit leidenschaftlichem Einsatz und spielerischer Brillanz alles dafür taten. Die Schuld daran, dass der Handball als fragwürdiges Geschehen dastand, trugen die Schiedsrichter Thierry Dentz und Denis Reibel aus Frankreich, flankiert von den EHF-Delegierten Klaus Dieter Convents (Belgien) und Helmut Wille (Österreich), die dem beschämenden Treiben nicht Einhalt geboten. Nicht einmal einen korrekten Spielbericht haben die Offiziellen hinbekommen, sie notierten elf statt zwölf Siebenmeter für die Polen.

Das war die geringste Fehlleistung. Die gesamte Partie war von Pfiffen geprägt, die mit dem Geschehen wenig zu tun hatten. Schrittfehler und Stürmerfouls von Kielce übersahen die Franzosen ebenso wie ein heikles Herauseilen von Mattias Andersson auf das Feld, wobei ein Pole zu Fall kam. Tobias Karlsson wurde auf die Bank geschickt, obwohl der vermeintlich von ihm gefoulte Tobias Reichmann fairerweise sofort bei Dentz/Reibel intervenierte: „Da war nichts.“ Der Höhepunkt war jedoch der nicht gegebene Strafwurf in den Schlusssekunden. Für jedermann war erkennbar: Reichmann foult Thomas Mogensen noch vor der Schlusssirene. Da war kein Spielraum für irgendein Ermessen. „Alles war klar: Super, ein Siebenmeter – aber es kam kein Pfiff“, beschrieb Schmäschke seinen Eindruck.

Bewusster Betrug oder Versagen der Franzosen? „Man hofft ja, dass die Schiedsrichter nur schlecht waren. Das Wort Betrug will ich nicht in den Mund nehmen“, sagte Vranjes. Für  Schmäschke ist es an der Zeit, das Schiedsrichterwesen zu hinterfragen. „Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass man bei so einer eklatanten Fehlentscheidung eine Karte legen kann und wie im Tennis, Eishockey oder Basketball die Möglichkeit bekommt, die Szene noch einmal beurteilen zu lassen“, sagte der SG-Geschäftsführer. Vranjes schlägt indes eine Art Supervisor vor, der das Spiel am Monitor verfolgt und mit den Schiedsrichtern kommuniziert.

Mit solchen Maßnahmen würde man auch die Referees schützen. Schmäschke: „Es geht ja nicht nur um uns. Auch Talant Duschebajew hätte die Karte ziehen können. Wenn Andersson dann Rot sieht – dann ist das eben so.“ Die Schlusssequenz von Kielce mache aber „einfach nur sprachlos“. Die Sorge ist nun, wie der Frust auf das nächste Großereignis nachwirkt. Morgen um 15  Uhr tritt die SG im Halbfinale beim Hamburger Final Four auf die Rhein-Neckar Löwen. „Die Mannschaft muss in der Lage sein, so ein Erlebnis zu verdängen. Das ist nicht leicht. Ich spüre an mir selbst, wie schwer das ist“, sagte Schmäschke.

Gestern um 15.15 Uhr landete der SG-Tross in Hamburg. Danach ging es direkt ins Tryp Hotel an der Kieler Straße, zum Regenerieren und Abstand gewinnen. „Handball ist heute kein Thema. Ich lasse mir etwas einfallen, um die Jungs in gute Laune zu bekommen“, sagte Vranjes nach der Ankunft im Pokalquartier.