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Weiter heftige Rhythmusstörungen

(sh:z; Hans-Werner Klünner) Zufriedene Gesichter sehen anders aus. „Am Ende haben wir einen Punkt gewonnen“, sagte Trainer Ljubomir Vranjes mit zerknirschter Miene nach dem glücklichen 30:30 (14:18) seiner SG Flensburg-Handewitt im Spitzenspiel der Handball-Bundesliga gegen die Füchse Berlin. „Wenn man aus Flensburg einen Zähler mitnimmt, ist das immer ein Punktgewinn“, erklärte Füchse-Sportdirektor Volker Zerbe. Doch  nach einer starken Leistung der Berliner an der Förde hätten es eigentlich zwei sein müssen.

28:24 hatten die Berliner in der 54. Minute in Front gelegen. Die SG Flensburg-Handewitt schien geschlagen. Aber in einer chaotischen Schlussphase, in der die unerfahrenen Schiedsrichter Dinges/Kirsch total den Überblick verloren, machten die Gastgeber in den letzten 47 Sekunden aus einem 28:30 noch ein Unentschieden. Der überragende Lasse Svan hatte 33 Sekunden vor dem Ende mit seinem neunten Treffer im neunten Versuch den Anschluss geschafft. Nach dem Fehlwurf von Fabian Wiede standen nur noch fünf Sekunden auf der Uhr. Torhüter Mattias Andersson spielte zu Rasmus Lauge, der passte den Ball fast über das ganze Spielfeld zu Henrik Toft Hansen, und der Däne erzielte unter dem Jubel der 5767 Zuschauer praktisch mit dem Schlusspfiff den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleich. „Ein Glück, dass ein Spiel  60 Minuten dauert“, musste SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke erst einmal durchatmen. „In der zweiten Hälfte hat die Mannschaft überragend gekämpft.“

Dennoch war niemanden in der Flens-Arena verborgen geblieben, dass der Vorjahresdritte und aktuelle Pokalsieger weiter unter heftigen Rhythmusstörungen leidet. Nur vier Tage nach dem triumphalen 39:32 in der Champions League über Paris St. Germain gab es mit dem Remis gegen die Berliner in der Bundesliga einen weiteren Rückschlag. Drei Spiele in Folge haben die Flensburger in der Liga nicht mehr gewonnen und gaben im vierten Heimspiel bereits den dritten Punkt ab. „Das sind drei Punkte zu viel“, stellte Rechtsaußen Lasse Svan nüchtern fest. „Wenn man um die Meisterschaft mitspielen will, sollte man zu Hause keinen Punkt abgeben.“ Eigener Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei den Flensburgern in der jungen Saison noch weit auseinander.

Vor allem in der Defensive ist die SG weiterhin auf der Suche nach Stabilität. 33 Gegentore gegen Melsungen, 32 gegen Paris und 30 gegen die Füchse. In der vergangenen Serie lag der Schnitt bei 25 Gegentoren pro Spiel. „In der ersten Halbzeit haben wir in der Abwehr überhaupt nicht unseren Weg gefunden“, musste Vranjes eingestehen. „Es wurden Absprachen nicht eingehalten. Besonders im Mittelblock hatten  wir Probleme.“ Die neuen Rädchen in der komplexen Defensiv-Maschinerie laufen noch nicht synchron. Der verletzte Anders Zachariassen, der sonst neben Tobias Karlsson im Zentrum steht, wurde schmerzlich vermisst. Henrik Toft Hansen versuchte sein Bestes, auch Rasmus Lauge – aber sie sind noch nicht eingespielt. „Das braucht einfach seine Zeit“, so Vranjes.

Die mangelnde Abstimmung in der Abwehr war aber nur ein Problem. Mangelnde Aggressivität ein viel schwerwiegenderes. Gegen Paris hatten die Flensburger von der ersten Sekunde mit Leidenschaft und Herzblut um jeden Millimeter Boden gekämpft. In den ersten 30 Minuten gegen Berlin ließen die Gastgeber den gegnerischen Rückraum fast nach Belieben gewähren – waren viel zu oft den berühmten Schritt zu spät. Erst nach einem gehörigen Kabinenpredigt von Vranjes entdeckten die Flensburger ihr Kämpferherz und wurden dafür am Ende mit einem schmeichelhaften Punkt belohnt. „Einige haben offenbar noch Probleme, in den Drei-Tage-Rhythmus zu finden und den Schalter schnell genug umzulegen“, vermutete Vranjes – sprich sich nach einem außergewöhnlichen Erfolg wie gegen Paris schon am nächsten Tag auf die Hausaufgaben in der Bundesliga zu konzentrieren. Die einzige Ausnahme gegen Berlin war Lasse Svan. „Ich habe damit kein Problem“, sagte der Däne. „Aber ich habe in dieser Hinsicht auch einige Jahre mehr Erfahrung als andere. Aber diese Qualität müssen wir alle erreichen.“

Denn schon am Sonnabend wartet in der Champions League die nächste schwere Aufgabe. Dann gastiert die SG in Ungarn bei MKB Veszprem (17.30 Uhr), einem weiteren Kandidaten für das Final4 in Köln. „Und das wird bestimmt nicht einfacher als gegen die Füchse“, warnte Svan.