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14 Minuten höchste Abwehrkunst

(sh:z; Hans-Werner Klünner) Das Mienenspiel sagte alles. Auf der einen Seite Ljubomir Vranjes mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, auf der anderen Dagur Sigurdsson mit versteinert scheinenden Mundwinkeln. Der Isländer, seit Sommer Bundestrainer und noch bis zum Saisonende Vereinscoach der Füchse Berlin in Personalunion, war bedient. Seine Füchse waren in der Handball-Bundesliga bei der SG Flensburg-Handewitt mit 27:36 (14:19) untergegangen. „Keine Torhüter und keine Abwehr, da hast du in Flensburg keine Chance“, sinnierte der  41-Jährige. „Das ist bitter.“

Die Gemütslage bei seinem Flensburger Kollegen, gerade von einem Internet-Portal zum „Welttrainer des Jahres“ gekürt, war natürlich eine ganz andere. „Wir haben heute wieder sehr gut gespielt. Ich bin sehr zufrieden, wir haben zwei sehr wichtige Punkte gewonnen“, meinte der Schwede, dessen Team nach mittlerweile 30 Pflichtspielen immer noch keine Ermüdungserscheinungen zu haben scheint. Erst am Sonntag hatten die Flensburger das schwere Heimspiel gegen den HSV Hamburg (28:24) erfolgreich hinter sich gebracht. Nur drei Tage später ließen sie den zwar Ersatz geschwächten, aber im Gegensatz zu ihnen am Wochenende spielfrei gewesenen Berlinern keine Chance und mischen im Kampf um den Titel weiter kräftig mit.

22 Minuten lang hatten die Füchse von einer Überraschung träumen dürfen. Mit einer offensiven 4:2-Abwehr gegen die gefährlichsten SG-Angreifer Holger Glandorf und Thomas Mogensen hatten sie den Flensburger Spielfluss zu unterbinden versucht. „Wir haben richtig gut angefangen und die richtigen Entscheidungen getroffen“, analysierte Sigurdsson. Vranjes musste ihm beipflichten: „Berlin hat uns anfangs Probleme bereitet, es hätte statt 1:3 auch 1:5 stehen können.“ Doch die überraschende Füchse-Variante zeigte nur kurz Wirkung. Lars Kaufmann im Rückraum übernahm Verantwortung und schlüpfte auf der Mittelposition in die ungewohnte Spielmacher-Rolle. Entweder versuchte er es im Eins-gegen-Eins selbst oder setzte die Außen Anders Eggert und Lasse Svan in Szene. „Das hat Lars sehr gut gemacht“, lobte sein Trainer. „Er war heute richtig aggressiv“, ergänzte Lasse Svan. Beim 3:3 war der Rückstand aufgeholt, doch erst beim 9:8 (15.)  gelang dem Champions-League-Sieger die erste Führung, die bis zum 14:13 (22.) knapp blieb.

Was in den nächsten 14 Minuten passierte, kann als allerhöchste Abwehrkunst umschrieben werden. Die SG-Defensive baute ein schier unüberwindbares Bollwerk auf, gegen das es für die Berliner kein Durchkommen gab. Fast jeder Wurf wurde erfolgreich geblockt oder so abgebremst, dass er bei Kevin Möller im SG-Kasten nur als „Würfchen“ ankam. Nur ein Tor gelang den Gästen, die SG war bis zur 36. Minute vorentscheidend auf 24:14 enteilt. Ausschlaggebend dafür war auch ein starkes Angriffsspiel. In der ersten Hälfte hatte die SG nur einen Fehlversuch, als Anders Zachariassen kurz vor der Pause den Pfosten traf. Alle anderen Würfe hatten bis dahin gesessen. Weder Petr Stochl noch Nationaltorhüter Silvio Heinevetter hatten eine Hand an den Ball bekommen. „Es war keine Abwehr und keine Torhüter-Leistung da“, klagte Sigurdsson. „Wir haben heute aber richtig viel Power gehabt und sehr gut geworfen“, entgegnete Lars Kaufmann. „Da waren nicht viele haltbare Bälle dabei.“

Auch auf Flensburger Seite war es zunächst nicht das Spiel der Torhüter gewesen. Mattias Andersson bekam ebenfalls nicht viel zu fassen (Vranjes: „Er hätte einige Bälle halten müssen“) und musste in der 22. Minute Kevin Möller Platz machen. Aber die Nummer eins landete einige Big Points und pushte damit seine Vorderleute. Beim 10:9 parierte Anderson  einen Strafwurf von Petar Nenadic, beim 16:13 einen Siebenmeter von Iker Romero und wurde für die Zuschauer endgültig zum Helden, als er beim 22:14 auch noch Fabian Wiede einen Strafwurf abkaufte. „Das hat uns und die Halle noch einmal nach vorn gebracht“, meinte Vranjes. Und die Füchse ergaben sich in ihr Schicksal. „Das hat heute richtig Spaß gemacht“, meinte Lasse Svan. „Wir waren auf den Punkt fokussiert – im Angriff und auch in der Abwehr. Das war heute eine Superleistung.“ Das empfanden die SG-Fans genauso und feierten ihre Mannschaft mit stehenden Ovationen. Zeit, um diesen Erfolg zu genießen, gibt es aber nicht. Am Sonntag (15 Uhr) steht das nächste schwere Spiel bei der HSG Wetzlar an.