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Vranjes investiert in die Zukunft

(sh:z; Jan Wrege) Das muss man sich trauen. Es war die 38. Minute in der O2-World in Hamburg, da standen für die SG Flensburg-Handewitt nur die Routiniers Steffen Weinhold und Mattias Andersson auf dem Feld, dazu die "Grünlinge" Hampus Wanne, Bogdan Radivojevic, Jim Gottfridsson und Olafur Gustafsson, die alle zusammen nicht auf nicht mehr als ein paar Dutzend Spiele in der Handball-Bundesliga kommen. Eine B-Mannschaft in Unterzahl (Nenadic saß zwei Minuten ab) gegen das Starensemble des HSV Hamburg auf dessen Parkett - ein bizzares Bild. Und keine Momentaufnahme: SG-Trainer Ljubomir Vranjes ließ die jungen Leute fast 40 Minuten spielen. Die Quittung war eine 27:32 (14:15)-Niederlage, die den Sieg in der Gruppe D der Champions League in weite Ferne rückt.

Der Schwede wies den Verdacht, dem Wettbewerb, dem Titelverteidiger sowie den eigenen Schlachtenbummlern nicht den angemessenen Respekt erwiesen zu haben, weit von sich. "Ich wollte gewinnen, aber ich wollte mit Spielern gewinnen, die nicht so oft dabei sind", sagt der Schwede, der sich einmal mehr als Trainer mit außerordentlichem Weitblick zeigte. Die Hamburger "Jugendspiele" verteidigte er als Investition in die Zukunft. Statt Punkten ein    Erkenntnisgewinn: "Wie sonst soll ich diese Spieler entwickeln? Jetzt können wir analysieren und sehen, was sie besser machen müssen", sagte Vranjes.

Was er sehen wollte, ist nicht auf dem üblichen, billigen Weg zu haben: Mal ein paar Minuten Einsatzzeit, wenn es gegen weit schwächere Teams geht oder man   zehn Tore vorn liegt, oder aus der Not geboren, wenn Verletzungen Lücken in den Stamm reißen. Nein, Vranjes wollte seine Jungs in einer echten Feuerprobe erleben. Dabei hatte er die Rückendeckung von Dierk Schmäschke. "Die Jungen müssen solche Erlebnisse bekommen und daran reifen. Ljubo geht den richtigen Weg im Sinne unserer Philosophie. Wenn wir nachhaltig gegen die Großen bestehen wollen, müssen wir junge Spieler entwickeln", sagte der Geschäftsführer, der ein weiteres Argument für den Einsatz von Wanne & Co anführte: "Es ist auch der Respekt für das, was diese Spieler täglich im Training leisten."

Nicht zuletzt bezog Vranjes die extreme Belastung in seine Überlegungen ein: Drei Tage vorher hatte die SG in Wetzlar gespielt, nun folgen in zehn Tagen ein weiteres Duell mit dem HSV, das Derby gegen Kiel und das Auswärtsspiel in Balingen. "Hamburg hat eine Woche Pause gehabt. Ich muss meine Bank benutzen", betonte Vranjes. Natürlich gefiel ihm nicht alles, was er sah. "Es war gut, aber nicht perfekt. Trotzdem sage ich: Hut ab."

Rechtsaußen Lasse Svan sagte, dass die Mannschaft die Idee des Trainers mittrage: "Es ist ein Zeichen, dass wir eine gute Truppe sind. So weit weg war der Sieg nicht, es lag an Kleinigkeiten. Diese Fehler passieren, wenn du nicht so viel Erfahrung hast." Immerhin bis zur 57. Minute blieben die Flensburger dem HSV mit nur zwei-Toren Rückstand (26:28) auf den Fersen. Allein den Spanier Joan Canellas bekam die SG nicht in den Griff, weil er clever die Freiheiten nutzte, die durch die Manndeckung von Radivojevic gegen Hamburgs Spielmacher Domagoj Duvnjak entstanden.

Einen Lichtblick gab es für den Halblinken Olafur Gustafsson, der in dieser Saison seiner Form so unglücklich hinterhergelaufen war. Der 24 Jahre alte  Isländer kämpfte wie ein Berserker in der Abwehr, gab auch nach vier Fehlwürfen gegen den bärenstarken Johannes Bitter nicht auf und erzielte noch zwei sehenswerte Tore, die andeuteten, dass man ihn noch nicht aufgeben soll.  Schmäschke registrierte das mit Wohlwollen: "Wir werden in dieser Saison noch jeden Spieler brauchen."