Stripes
Stripes
Archiv

SG nach der Pause völlig von der Rolle

(sh:z) Als der Bus am Freitag die letzten 150 Kilometer von Bilbao nach Logroño zurücklegte, durchquerte die SG Flensburg-Handewitt riesige Weinbaugebiete. Bei Sonnenschein und 27 Grad muteten die Hänge wie ein Schlaraffenland an. Ein Anblick, der suggerierte, dass man sich nur bedienen müsse – und der sich tags darauf auf das Spielfeld zu übertragen schien. Gegen Naturhouse La Rioja gab es 30 Minuten lang ein bekömmliches Königsklassen-Menü, doch dann hingen die Trauben doch höher als erwartet. Die SG musste sich beim spanischen Tabellenzweiten mit einem 32:32 (19:13) begnügen. „Die zweite Hälfte muss ich mir noch einmal genauer ansehen", meinte SG-Trainer Ljubomir Vranjes. „Am Ende bin ich froh über den einen Punkt und wie wir nicht aufgegeben und uns zurückgekämpft haben."

Im nordspanischen Hexenkessel hatte die SG knapp fünf Minuten vor dem Abpfiff bereits wie der sichere Verlierer ausgesehen. Der kaum zu bremsende dynamische Kubaner Rafael Capote krönte mit seinem zehnten Treffer (32:30) die enorme Aufholjagd der zweiten Hälfte. Im Gegenzug schaffte Michael Knudsen mit etwas Glück – der Brasilianer Thiagus Petrus hatte einen Abpraller nicht festhalten können – zwar den Anschluss, kassierte aber kurz darauf eine Zeitstrafe. In Unterzahl meisterte die SG die letzten Sequenzen. Mattias Andersson parierte gegen Capote, und der starke Steffen Weinhold glich aus. „Es ist im Grunde nichts passiert", atmete SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke durch. Er hatte dabei die Tabelle der Champions-League-Gruppe D im Blick: Die SG liegt nun einen Zähler hinter Spitzenreiter HSV Hamburg zurück, hat es aber noch in der eigenen Hand, den Staffelsieg einzufahren.

Die Hanseaten hatten sich vor vier Wochen mit 33:24 in Logroño durchgesetzt. Die SG befanden sich lange auf einem ähnlichen Weg. Nach knapp zehn Minuten hieß es für den Gast bereits 3:7. Bis auf eine kurze Phase (9:11, 20.) kontrollierte die SG die unkonventionell agierenden Hausherren. Im Rückraum lief es rund. Steffen Weinhold erzielte mit seinem sechsten Tor das 12:17, und Mattias Andersson entpuppte sich als der beste Keeper auf dem Feld.

Auch die frühe Verletzung von Drasko Nenadic schockte den Bundesligisten nicht. Der Serbe war umgeknickt und musste ausscheiden. „Wir müssen sehen, was heil ist und was nicht", konnte Dierk Schmäschke noch keine Prognose nennen. Positiv: Olafur Gustafsson sprang in die Bresche, zeigte einen deutlichen Aufwärtstrend und hämmerte den Ball fünf Mal in die Maschen – so oft wie in keinem Spiel seit März.

Als Anders Eggert unmittelbar nach der Pause von der Siebenmeter-Linie einen herrlichen Heber zum 13:20 inszenierte, deutete alles auf einen Spaziergang hin. Doch der frisch eingewechselte Torwart Gurutz Aginagalde fing plötzlich an, den SG-Angriff zu nerven, der sich zudem häufiger Ballverluste gegen die offensive Deckung von La Rioja leistete. Die Gastgeber tankten Hoffnung, die Kulisse erwachte. Bis dahin schien in der eigenwillig konstruierten Spielstätte, die an einen Dom erinnerte, eine große Ehrfurcht vor dem Gast aus Deutschland zu herrschen. Doch nun kannten die Fans kein Halten mehr. „Diese Halle hatte schon eine besondere Akustik", schilderte Dierk Schmäschke. „Drei Boxen reichten, um alles zu beschallen. Und wenn die Zuschauer auf ihre Sitze klopften, baute sich eine enorme Lautstärke auf."

Es entstand ein imposantes Wechselspiel: Die Stimmung beflügelte das Team von La Rioja, die guten Aktionen auf dem Parkett stimulierten die Ränge weiter. „Wir wussten, dass wir noch eine Chance haben, wenn Spieler und Zuschauer alles geben", rieb sich Trainer Jesús Javier González die Hände. „Die Mannschaft ist heute ein Stück über sich hinausgewachsen." Es fehlte letztendlich nur ein Quäntchen Coolness, um beide Zähler in Spanien zu behalten. „Jetzt alle gesund zurück und den Fokus auf die Pokal-Partie am Mittwoch gegen Magdeburg", gab derweil Ljubomir Vranjes als Losung aus. Noch am Samstagabend fuhr der Bus ab gen Bilbao. Die üppigen Weinfelder waren nun von der Dunkelheit verhüllt.