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An Erfahrung gewonnen

(sh:z) Am Stadtrand von Veszprém, wo die buschige, ungarische Ebene der Bebauung weicht, steht in einem Gewerbegebiet einer der „Hot Spots“ des internationalen Handballs. Am Samstag wurde eine große Party gefeiert: Lokalmatador Telekom siegte auch im zweiten Viertelfinale gegen die SG Flensburg-Handewitt, diesmal mit 29:25 (17:13).

Am Samstag klebte schon Stunden vor dem Anpfiff Werbung an der großen Fensterfassade: Reiseveranstalter boten Touren zum Final Four der Champions League in Köln an. Die Teilnahme des ungarischen Rekordmeisters galt im Umfeld als beschlossene Sache. Doch zunächst gab es einen Spielverderber: der Gast aus der Bundesliga. Simon Hald setzte sich zwei Mal am Kreis durch, Hampus Wanne war ebenfalls blitzschnell in Form, und auch Göran Johannesen kam gut in die Partie – als Vertreter für Jim Gottfridsson, der bei seiner hochschwangeren Frau in Flensburg geblieben war. Nach knapp sechs Minuten hieß es 0:5 – die Sechs-Tore-Hypothek war fast pulverisiert.

Die ungarischen Fans, die nur wenige Minuten zuvor zu AC/DC-Klängen einen infernalen Lärm produziert hatten und in der Südostkurve konsequent das Sitzen verweigern, um im Stehen ihre Lieblinge anzufeuern, hatten plötzlich Sorgenfalten auf der Stirn. „Wake up!“, forderte Veszpréms Trainer David Davis in seiner Auszeit. „Jeder hat gesehen, dass wir in der ersten Viertelstunde gestresst waren und angesichts des Drucks nicht befreit aufspielen konnten“, meinte der slowenische Rechtsaußen Dragan Gajic. „Fast alle dachten, das Ticket nach Köln sei nur noch ein Klacks.“

Dem war nicht so. Im SG-Lager ärgerte man sich später, nach dem 4:8 (13.) nicht weiter nachsetzen zu können und so die Nervosität im Lager der Hausherren zu forcieren. Verwunderung herrschte darüber dass die französischen Schiedsrichter zwei Tore von Veszprém anerkannten, die die SG-Protagonisten als „klar abgestanden“ sahen. Unter dem Strich aber war es die eigene Fehlerzahl, die sich in verhängnisvoller Weise summierte und alle Hoffnungen vernichtete. „Wir haben Veszprém selbst ins Spiel zurückgebracht“, meinte SG-Trainer Maik Machulla. „Dann haben wir mit sieben Feldspielern agiert und das Risiko erhöht.“ Das wurde nicht belohnt.

So war die zweite Halbzeit nicht viel mehr als eine Chronistenpflicht. Der Schlussspurt in der Meisterschaft und Sorgen um das Personal traten nun in den Vordergrund. Magnus Röd lag plötzlich stark blutend auf dem Boden. Der Ellbogen von Kentin Mahé, der vehement gen Tor gestürmt war, hatte ihn im Gesicht getroffen. Die Rücktour trat der junge Norweger mit einer lädierten Nase an. Ob etwas gebrochen ist, soll in Flensburg untersucht werden. „Bis zum Spiel in Kiel sind ja noch ein paar Tage Zeit“, wirkte Tobias Karlsson entspannt. Er selbst war in der zweiten Hälfte ausgewechselt worden. Wohl eine Vorsichtsmaßnahme. „Nichts Dramatisches“, winkte der SG-Kapitän ab.

Er selbst hatte die letzte internationale Begegnung seiner Karriere bestritten. „Ich wusste, dass es der Fall sein wird, wenn wir verlieren sollten“, verriet der Schwede hinterher. „Vorher hatte ich aber geglaubt, dass wir die Angelegenheit noch drehen könnten.“ Letztendlich sah er sein persönliches „Finale“ als das Spiegelbild der ganzen Champions-League-Serie, in der eine junge Mannschaft häufiger Lehrgeld gezahlt habe. „Die Abläufe, die Reisen und das Essen sind nun einmal ganz anders als in der Bundesliga“, meinte Tobias Karlsson. „Von der nun gewonnenen Erfahrung wird der Verein in Zukunft profitieren.“

Zu den bleibenden Eindrücken der Viertelfinal-Reise gehörte gewiss die Stimmung in der Veszprém-Arena. Die Party kochte zwischen isländischen „Huh“-Schlachtrufen und euphorischen „Ole, ole“-Gesängen. Nach Spielschluss reckten die in rotgekleideten Fans ihre Schals hoch und sangen die ungarische Nationalhymne. Kurz danach donnerte „Viva Colonia“ aus den Boxen. „Es ist ein großer Tag für die Stadt, für den Verein, für die Mannschaft und auch für mich“, sagte ein überglücklicher David Davis in der Pressekonferenz. Maik Machulla hatte da seinen Humor längst wiedergefunden. „Glückwunsch an Veszprém zum Gewinn der Champions League“, schmunzelte er. „Wir sind die letzten drei Jahre jeweils gegen den späteren Sieger ausgeschieden – da sollte klar sein, wer diesmal in Köln die Nase vorn haben wird.“