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Totaler Kollaps nach der Pause

(sh:z; Jan Wrege) Es war das vertraute Bild, dass die SG Flensburg-Handewitt unbedingt vermeiden wollte: Der THW Kiel mit der Trophäe im Licht des Feuerwerks, die Verlierer abseits im Schatten. Zum vierten Mal in nur zwei Jahren mussten die Flensburger diese Prozedur erdulden, drei Mal im Pokal, ein Mal im Supercup. „Es wird immer schlimmer, daran gewöhnt man sich nicht“, sagte SG-Rechtsaußen Lasse Svan Hansen, „und heute war es die enttäuschendste Niederlage von allen.“ Denn das 30:33 (16:12) aus SG-Sicht im Endspiel des 21. Final4-Turniers um den DHB-Pokal war das Resultat eigener Fehlleistungen und kaum der Übermacht der Kieler Seriensieger geschuldet.

13000 Zuschauer in der Hamburger O2-World erlebten zwei völlig gegensätzliche Halbzeiten. Nach 30 Minuten hatte es so ausgesehen, als würden die Flensburger in ihrem insgesamt neunten Pokalfinale das Weihnachtsmärchen von 2012 wiederholen können. „Wir hatten das Spiel im Griff, spielen tollen Handball, zeigen viele Sachen, die genauso sein sollten“, meinte Trainer Ljubomir Vranjes. Seine Mannschaft lieferte dem Erzrivalen ein Derby auf hohem kämpferischen Niveau mit spielerischen Glanzlichtern. Eng blieb es bis zur 20. Minute, als Kiel mit 10:9 führte, doch dann legten die Flensburger einen energischen Zwischenspurt zum 15:10 (29.) ein. Die Zebras wurden zunehmend nervöser, Trainer Alfred Gislason tobte wie aufgedreht an der Außenlinie entlang, versuchte immer wieder Einfluss auf die Schiedsrichter zu nehmen. „Flensburg hat wirklich klasse gespielt, wir hatten kein Mittel“, sagte später Kiels Torjäger Filip Jicha.

Die Fachwelt staunte zur Pause, woher die Flensburger nach dem grandiosen, aber kraftraubenden  Halbfinale mit Verlängerung gegen den HSV die Ressourcen nahmen, den Meister im Zaum zu halten. Doch nach Wiederbeginn kippte die Partie binnen weniger Minuten. „Irgendwie haben wir einen Sch…-Anfang erwischt, der mir unerklärlich ist. Mag sein, dass Kiel gut ist, aber wir können es doch besser“, sagte Vranjes um Fassung ringend in der Pressekonferenz. Die SG verlor im Angriff jede Linie, verlor Bälle, warf in den THW-Block.

Es kam, wie es kommen musste. „Kiel ist die weltbeste Mannschaft darin, Fehler zu bestrafen“, erklärte Flensburgs Spielmacher Thomas Mogensen. „Wir hätten das Spiel eng halten müssen, waren aber nicht klug genug.“ Die Kieler nahmen die Einladung zur Rückkehr ins Spiel dankbar an und setzten ihre furchterregende Handballmaschine in Gang, gesteuert vom brillanten Spielmacher Aaron Palmarsson. „Wenn du spürst, wie du dem Gegner Kraft und Feuer raubst, ist das ein tolles Gefühl. Ich habe es genossen wie lange nicht“, sagte Jicha.

Nach 34 Minuten war der Vier-Tore-Vorsprung der SG futsch, zehn Minuten später war der THW mit vier Toren (21:17) vorn. Mit 1:9 hatte die SG die entscheidende Phase und damit das gesamte Finale verloren. Torhüter Mattias Andersson, der Wundermann des Vortages, war weitgehend machtlos gegen die Kieler Tempogegenstöße und hinterher entsprechend geladen: „Wir haben alles verkehrt gemacht, was man verkehrt machen konnte.“

Mogensen und der in die beinahe aussichtslose Schlacht geworfene Jungstar Petar Djordjic bäumten sich noch einmal auf und brachten die SG nach 52 Minuten mit 24:27 wenigstens in Schlagdistanz, doch damit war das Pulver verschossen. Zumal die Flensburger durch weitere Faktoren geschwächt waren: Anders Eggert hatte sich früh das Knie verdreht und fiel als Konterwaffe aus, Michael Knudsen musste nach der dritten Zeitstrafe (48.) das Feld verlassen. Holger Glandorf schließlich hatte völlig verwachst und blieb ohne Treffer.

Am Ende war es für die Flensburger kaum ein Trost, dass sie tags zuvor gegen den HSV eines der großartigsten Spiele in der Pokalhistorie gezeigt hatten und dass Mattias Andersson zum besten Torhüter und zum besten Spieler des Turniers gekürt worden war, was mit Reisegutscheinen und zwei Rollkoffern belohnt wurde. Abhauen und unter südlicher Sonne Abstand von diesem bitteren Erlebnis gewinnen ist aber nicht drin. Schon am Mittwoch steigt das  schwere Bundesliga-Spiel gegen Hannover, und dann kommen schon wieder die Revanche lüsternen Hamburg im Champions-League-Viertelfinale. Auf Vranjes wartet viel Aufbauarbeit in wenigen Tagen.