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Chekhovskie Medvedi

Eine relativ geringe Fluktuation charakterisiert die Situation bei der „russischen Nationalmannschaft im Vereinsdress" seit Jahren. Deshalb eilt dem Team von Trainer-Legende Vladimir Maximov seit Langem der Ruf voraus, sehr eingespielt zu sein. Aber auch bei Chekhovskie Medvedi gibt es Spielerwechsel – und manchmal sogar sehr denkwürdige. So geschehen im Mai, als in der „Olimpiyskiy"-Arena das Trikot mit der Nummer 77 hochgezogen wurde, damit es seinen Stammplatz unter dem Hallendach einnehmen konnte. Vitaly Ivanov, der Kapitän der „Bären", beendete im Frühjahr seine Laufbahn, blieb aber der russischen Handball-Hochburg im Großraum Moskau treu. Der 35-Jährige trainiert nun die zweite Mannschaft des Klubs, die sich ebenfalls in der russischen Superliga tummelt. Damit sind Spielmacher Vasily Filippov, Kreisläufer Mikhail Chipurin und Torwart Oleg Grams die letzten im Kader, die schon 2002 den Umzug in die 73.000 Einwohner zählende Trabantenstadt Tschechow miterlebt hatten.  

Vladimir Maximov

Die Wurzeln dieses Erfolgsteams liegen in der Metropole. Der beste Handballverein des Landes gehörte lange dem Armee-Klub ZSKA Moskau an. In den letzten Jahren der Sowjetunion feierte man unter diesem Dach sogar den Europapokal der Pokalsieger (1987) und der Landesmeister (1988). Doch dann wurde ZSKA zerschlagen, nur noch die Fußballer firmieren heute unter dieser Bezeichnung. Trainer-Legende Vladimir Maximov, die treibende Kraft im russischen Handball, nutzte den Neubeginn, um an einem anderen Ort das Fundament für ein neues starkes Team zu errichten. Unter dem Begriff „Medvedi" (Bären).

Zunächst wendete sich der heute 67-Jährige an einen alten Bekannten, an Ghenadij Nedosecker, dem Präsidenten der Region Tschechow. Mit seiner Unterstützung gelang es dem lebenden Handball-Denkmal, einen noch ambitionierteren Politiker ins Boot zu kriegen: Boris Gromov, Gouverneur der Oblast Moskau. „Es war ein großer Vorteil“, berichtet Vladimir Maximov, „dass Boris Gromov früher selbst Handballer war und ihm der Sport deshalb nicht gleichgültig war.“ Allerdings diktierte der Politiker einen Wunsch ins Gründungsprotokoll. Man solle doch beweisen, dass auch mit russischen Eigengewächsen internationale Lorbeeren zu ernten sind.

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Fliegender Rechtsaußen: Dmitry Kovalev.

Diese Bitte passte Vladimir Maximov durchaus ins Konzept. Im schwebte eine Blockbildung bei den „Bären“ und der Nationalmannschaft vor. „Wir haben genug Talente“, sagte er. „Von ihnen hängt die Zukunft des russischen Handballs ab. An diese glauben die Legionäre, die ins Ausland wechseln nicht mehr.“ Ebenso war Vladimir Maximov klar, dass „würdige Bedingungen“ nötig wären, um die vielversprechenden Handballer im eigenen Land zu halten.

Diese bestehen seit dem 30. Juli 2003, als man unter gehörigem Tamtam in Tschechow die neue Olympiysky-Halle einweihte. Das Bauwerk, das die Wünsche von 20 Sportarten erfüllt, war ein großer Image-Gewinn für die Moskauer Trabantenstadt. Schwimmhalle, Trainingsräume, Bowling-Bahn, Bars, Restaurant, Sauna – all das umrahmt das „Herz“ in der Mitte des Komplexes. Die schmucke Arena mit 3000 Plätzen und einem größeren VIP-Bereich bietet nicht nur Musik-Konzerten einen prächtigen Rahmen, sondern auch den Handballern von Chekhovskie Medvedi.

 

Mikhail Chipurin spielt seit 2002 für die „Bären".

Seither dominiert das schillernde Handball-Projekt die Superliga und wurde immer russischer Meister. Meistens sogar ohne Verlustpunkt. Auch jetzt startete Chekhovskie Medvedi wieder mit einer Siegesserie, düpierte die Konkurrenz mit bis zu 24 Toren Vorsprung. International hängen die Trauben allerdings höher. 2006 errangen die „Bären" zwar den Europacup der Pokalsieger und 2010 stießen sie ins VELUX EHF FINAL 4 vor, aber im letzten Jahr gab es einen empfindlichen Dämpfer. Die Russen scheiterten trotz eines Unentschiedens bei Atletico Madrid bereits in der Vorrunde und starten auch diesmal mit einer gehörigen Portion Respekt. „Das ist eine Todesgruppe", entfuhr es Vladimir Maximov nach der Auslosung. „Zum zweiten Mal in Folge haben wir Pech."

Immerhin: Das Bären-Aufgebot hat qualitativ keinen Rückschritt gemacht. Außer Kapitän Vitaly Ivanov gab es keine empfindlichen Verluste. Der ukrainische Torwart Evgeni Budko hing seine Handballschuhe an den Nagel und kehrte in seine Heimatstadt Odessa zurück. Zudem schieden die Rückraum-Akteure Oleg Skopintsev (zu Dinamo Minsk) und Andrey Starykh aus.

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Abwehrstütze: Egor Evdokimov

Im Gegenzug freute sich Vladimir Maximov über einen Rückkehrer: Der baumlange Kreisläufer Egor Evdokimov, der zuletzt in Ciudad Real und in Minsk seine Brötchen verdiente, ist nach zwei Jahren wieder ein „Bär". Ein Wandervogel heuerte im Kasten an: Richard Stochl, bestens bekannt in Montpellier, Celje und Ungarn. Der Slowake ist der einzige Ausländer, da der gebürtige Weißrusse Sergei Gorbok und der gebürtige Ukrainer Sergiy Shelmenko – beide übrigens einst in Diensten der Rhein-Neckar Löwen – inzwischen mit einem russischen Pass ausgestattet worden sind. Förderlich für den Optimismus in Tschechow war die WM-Qualifikation im Juni: Am Erfolg gegen Tschechien waren nicht weniger als zehn „Bären" beteiligt.