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Marko Vujin: Der andere Andersson

Ende Oktober: Das denkwürdige Spitzenspiel zwischen dem HSV Hamburg und dem THW Kiel ist erst seit einer knappen Stunde vorbei. Marko Vujin hat keine Zeit, den erst in der Schlussphase sicher gestellten Sieg zu genießen. Der THW-Linkshänder huscht aus der Kabine und nähert sich mit großen Schritten dem Mannschaftsbus. Er hat es eilig: Der Handball-Profi soll zum Flughafen, ein Lehrgang der serbischen Nationalmannschaft ruft. Hastig tauscht er das Gepäck – und auch die Schuhe. Es sind große Treter, die er hervorholt. Der Beobachter denkt automatisch: Die braucht der 27-Jährige auch, schließlich muss er in große Fußstapfen treten. Er kam im Sommer für Kim Andersson, dem überragenden Akteur der letzten Bundesliga-Saison. „Das ist für mich kein Problem", versucht Marko Vujin, keinen erhöhten Druck an sich heranzulassen. „Kim Andersson war viele Jahre in Kiel.“

In der Tat: Niemand im THW-Lager hat einen nahtlosen Übergang erwartet. Erst seit Mitte August, seit dem Ende der Olympischen Spiele in London, können die „Zebras" in ihrer neuen Besetzung trainieren und spielen. Es braucht eine Weile, um einen Akteur in das Mannschaftsgefüge einzubinden – zumal es individuelle Unterschiede gibt. „Kim Andersson hatte einen enormen Sprung und warf deshalb oft aus dem Rückraum", erklärt Christian Zeitz, der zweite Linkshänder. „Jetzt müssen wir den Erfolg mehr über 1:1-Situationen und Spielzüge suchen.“ Das sieht Filip Jicha, Kopf der Mannschaft, ähnlich. „Wir  müssen das Spiel noch mehr gestalten – das ist nicht in knapp drei Monaten zu schaffen", meint der Tscheche. „Unsere Neuzugänge haben die nötigen Fähigkeiten, wie sich auch im Training bestätigt." Was bei der Integration von Marko Vujin die Zuversicht besonders stärkt: Seine Deutschkenntnisse befinden sich bereits auf einem erstaunlichen Niveau.

Marko Vujin ist in Kiel angekommen.

Der neue Linkshänder stammt aus Backa Palanka, einem 30.000-Einwohner-Städtchen im Norden Serbiens, nur einen Katzensprung von Kroatien entfernt. Auf dem Balkan gibt es traditionell viele starke Handballer, aber keine starke Liga. Wer es zu etwas bringen möchte, geht frühzeitig ins Ausland. Marko Vujin ist gerade 18 Jahre alt, als es ihn nach Ungarn verschlägt. Zunächst nach Dunaferr, ab 2007 zum Abonnementsmeister MKB Veszprém. Dort ist der Zwei-Meter-Mann bald der Garant für die einfachen Tore, ist deshalb von der Abwehrarbeit befreit. Nun ist das ein Manko: Der THW zieht ein enormes Tempospiel auf, da muss auf Wechsel zwischen Angriff und Abwehr verzichtet werden. Marko Vujin stellt sich bei der „stärksten Mannschaft der Welt" dieser Aufgabe, aber manchmal wirkt es noch etwas unbeholfen. „Er zeigt den Willen, und oft macht er es auch schon recht gut", bescheinigt ihm Trainer Alfred Gislason Fortschritte. „Manchmal habe ich aber noch das Gefühl, dass er den Kopf in die Mikrowelle gesteckt hat.“

Es ist noch Luft nach oben, das weiß Marko Vujin. Auf die nächste Bewährungsprobe – nun geht es gegen die SG Flensburg-Handewitt – muss er sich allerdings nicht lange gedulden. Das hat sich für ihn persönlich verändert. „Mit Veszprém habe ich oft mit über 20 Toren gewonnen und drei Jahre gar nicht verloren", erzählt der Linkshänder. „In Deutschland geht es enger zu, das ist die stärkste Liga der Welt." Und der THW gilt als das stärkste Team. In Kiel zeigt man sich zuversichtlich, dieses Prädikat – trotz der Neubesetzung im rechten Rückraum – erneut zu bestätigen. „Ruhe bewahren und konzentriert arbeiten", meint Filip Jicha. „Dann gibt es auch im Juni 2013 wieder etwas zu feiern."