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THW Kiel

Einige Chronisten wussten es ganz genau: Die weiteste Reise in der Historie des THW Kiel war der 9500-Kilometer-Trip in den Indischen Ozean nicht. In den 80er Jahren nahmen die „Zebras" einmal an einem Schauturnier in Argentinien teil. Dennoch war der Abstecher im französischen Übersee-Department La Réunion, der Heimat von Rückraum-Ass Daniel Narcisse, ein denkwürdiger Auftakt der diesjährigen Saison-Vorbereitung. Der Tourismusverband des Eilandes hatte den deutschen Rekordmeister eingeladen. Es folgten aufregende Abfahrten mit dem Mountain-Bike, ein Helikopter-Rundflug und ein Freundschaftsspiel gegen eine Insel-Auswahl.
Im Zebra-Lager waren sich alle einig: Es war eine traumhafte Stippvisite, die als erste Etappe auf dem Weg zu einem sportlichen Traum dienen soll. Der Rekord-Titelträger möchte nach einjähriger Pause wieder zurück an die Bundesliga-Spitze. Auch wenn THW-Aufsichtsratschef Klaus-Hinrich Vater angesichts von DHB-Pokal, Champions Trophy und Vize-Meisterschaft von einer „erfolgreichen Saison“ sprach – dem sportlichen Aushängeschild der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt wurmte es, im Frühjahr dem HSV Hamburg in der Bundesliga den Vortritt gelassen zu haben. Trainer Alfred Gislason brachte die Kieler Gemütslage auf den Punkt: „Wir sind der THW Kiel. Und dann ist eine Saison, in der wir nicht Meister geworden sind, keine gute Saison.“
Was angesichts dieser forschen Töne etwas verwunderte: Die „Zebras“ scharrten mit den Hufen, ohne Korrekturen am Kader vorgenommen zu haben. Der einzige Abgang, der französische Olympiasieger Jerome Fernandez, war erst nach dem letzten Saisonstart aufgrund größerer Verletzungssorgen verpflichtet worden. Und am Kreis zerschlug sich eine erhoffte Umbesetzung: Für den bislang enttäuschenden Serben Milutin Dragicevic hat sich noch kein neuer Verein gefunden, zumal weder René Toft Hansen (AG Kopenhagen) noch Patrick Wiencek (VfL Gummersbach), die beide ab 2012 beim THW unter Vertrag stehen, von ihren bisherigen Klubs vorzeitig losgeeist werden konnten. 
So bohrte die eine Frage: Meisterschaft ohne Verstärkung – kann das überhaupt funktionieren? Alfred Gislason fand eine Antwort. „Wieso? Ich habe doch zwei Neuzugänge: Daniel Narcisse und Kim Andersson“, sagte er. „Ich bin sehr froh, beide in guter Form wieder zu haben.“ Hintergrund: Die beiden wurfgewaltigen Rückraumspieler mussten in der letzten Serie viel Verletzungspech durchleiden und verstärkten im Sommer wieder die zweite Reihe des THW. „Ich bin total heiß auf Handball", sagte Daniel Narcisse. 
Veränderungen beim „FC Bayern des Handballs", der seit 1994 nicht weniger als 13 Mal auf dem Bundesliga-Thron stand, hatte es während der Sommerpause im direkten Umfeld des Teams gegeben. „Aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen“ – so die offizielle Formulierung – hatte Uli Derad nach zwei Jahren um die vorzeitige Auflösung seines Geschäftsführer-Vertrages gebeten. Praktisch über Nacht trat Klaus Elwardt,  bisheriges Aufsichtsratsmitglied und ehemaliger Spieler, die Nachfolge an und leitet nun zusammen mit Sabine Holdorf-Schust die Geschäftsführung des Klubs. 
Während der THW Kiel in der Champions League daheim überraschend gegen Montpellier patzte und in Leon einen unglücklichen Ausgleichstreffer mit der Schlusssirene kassierte, lief es in der Bundesliga bislang fast reibungslos. Angesichts eines Starts von 28:0 Punkten spricht derzeit vieles dafür, dass die Saison so traumhaft enden könnte, wie sie begann. Dann aber nicht auf einer Trauminsel, sondern mit der Meisterschale auf dem Kieler Rathausmarkt.

Daten THW Kiel